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Ich weiß mehr über das Internet, als ich manchmal wissen möchte

Mit 11 habe ich begonnen Websites und Chats zu verwenden. Mein erstes Handy hatte ich mit 16, das erste Smartphone mit 22. Ich habe die letzten 6 Jahre im Online Marketing und insgesamt 14 Jahre in der digitalen Kommunikation gearbeitet. Websites gebaut und verbessert, Social Media Profile und Communities aufgebaut. Online-Werbekampagnen für mehr Aufmerksamkeit, mehr Verkauf, mehr Spenden und besseres Recruiting ausgedacht. Nutzungsdaten analysiert und ausgewertet. Werbung optimiert. Dafür haben meine Kolleg:innen und ich mit den großen Plattformen und Netzwerken gearbeitet: Google Ads (Werbung über Suchmaschinen), Meta (Werbung über Facebook und Instagram), LinkedIn undsoweiter. Es hat irgendwann 2019 oder 2020 begonnen. Da bekam ich immer häufiger das Gefühl: so möchte ich nicht mehr arbeiten.

Google kennt mich besser als meine beste Freundin

Als Marketerin weiß ich, dass das die besten und genauesten Werbeplattformen der Welt sind. Sie sammeln rund um die Uhr Informationen aus unseren Suchanfragen, wissen wen wir beruflich und privat kennen, wo wir wohnen, welchen Weg wir zur Arbeit fahren, mit wem wir verwandt sind, wo wir Urlaub machen, was wir einkaufen, was wir uns wünschen, wen wir unterstützen, wo wir essen gehen, was uns gefällt, wen wir stalken, welche Websites wir besuchen, was wir lustig finden, was uns traurig macht, aufregt und ärgert. Sie wissen, wann wir aufstehen und wann wir schlafen gehen, wie es um unsere Gesundheit steht, was uns beschäftigt, was uns interessiert, welchen Hobbies wir nachgehen, wie es und welche privaten Vorlieben wir haben. 

Mir gefällt nicht mehr was ich tue

Diese Daten sind toll, wenn man möglichst zielgerichtet und ohne Verluste Werbung schalten will. Eine Facebook-Anzeige an Frauen zwischen 35 und 55 mit Hochschulabschluss, die in Wien oder Graz wohnen? Leicht. Ein Video auf Instagram für alle Personen ab 18 Jahren im deutschsprachigen Raum, die im letzten Monat auf meiner Website waren und sich für Fernreisen in afrikanische Länder interessieren und Vegetarier sind? Geht. Eine Bekannte hat einen sehr nachdenklichen Gesichtsausdruck bekommen, als ich ihr erklärt habe, ich könnte eine Werbeanzeige gestalten, die nur von Frauen in ihrem Alter und in ihrem Wohnbezirk gesehen wird, die Fans ihrer Lieblingsserie sind, mit einem Wortlaut, den sie auf anhieb sympathisch findet, weil ich Dinge erwähne, die sie vermutlich kennt. Dazu muss ich sie nicht einmal persönlich kennen. Aber ich könnte, wenn ich das gut mache, eventuell ihr Verhalten beeinflussen. Das kann ich nutzen, um zu beeinflussen, was du kaufst, wohin du klickst oder wen du wählst. 

Online-Werbung ist nicht öffentlich. Wenn ich auf der Straße ein Plakat für Waschmittel, ein Auto oder einen Präsidentschaftskandidaten aufhänge, dann sieht das Plakat jede Person, die daran vorbeigeht. Das Plakat ist auch da, wenn ich weg bin. Und wenn ich nächste Woche wiederkomme, sieht es immer noch so aus wie vor einer Woche. Wenn ich einen TV-Spot schalte, sehen den alle Zuseher:innen, die das Programm erreicht. Bei Online-Werbung ist das anders. Man kann die potenziellen Zielpersonen aufteilen und nach Eigenschaften auswählen. Ich definiere eine Zielgruppe (z.B. Männer, die gerne am Computer spielen, 18-25 Jahre alt sind und in Linz+25km Umgebung wohnen), wähle ein Bild, dass diese Männer ansprechen könnte und verwende Sprache, die in ihren Ohren vertraut klingt. Macht das ein Schokoriegelproduzent, ist mir das egal. Macht das ein Theater oder eine Umweltschutz-Organisation, finde ich es OK. Machen das die Kandidat:innen für die Wien-Wahl, finde ich es manipulativ. 

So möchte ich nicht mehr arbeiten. In vielen Gesprächen in den letzten Monaten ist mir immer wieder das Gleiche passiert: Menschen fühlen sich unwohl, wenn sie diese Informationen erhalten.
Das habe ich nicht gewusst. Das ist ja arg!
Danach fühle ich mich unwohl. Die meisten Menschen, die ich kenne, wissen sehr wenig über diese Mechanismen, die im Internet von praktisch allen Akteuren angewandt werden. 

Wir teilen Informationen über unser ganzes Leben. Freiwillig. Die Konzerne müssen die Daten weder kaufen noch erheben, wir füttern sie selbst in die großen Werbemaschinen. Mit jedem Klick, jedem Wisch, jedem Download, jedem Onlinekauf, jeder Suchanfrage teilen wir Informationen mit. Mag ich. Kauf ich. Da war ich. Den kenne ich. Anna gefällt das. Oh, mir ja auch!

Es ist so angenehm! Wir tun das aus einem plausiblen Grund: es ist angenehm. Es spart Zeit. Das Leben wird einfacher. Google Maps z.B. ist ein wirklich gutes Navigationstool, ich brauche mein Navi nicht mehr, das Smartphone ist ja immer in der Tasche. Dass jede Fahrt und Abfrage gespeichert wird? Nicht so schlimm, ich habe ja nichts zu verbergen. Der Standort bleibt gleich eingeschaltet, ist einfacher. WLAN automatisch verbinden? YES, “my home is where WIFI connects automatically!” Es gibt schon so viele tolle und angenehme Apps und Funktionen im Smartphone, es ersetzt mittlerweile zwischen 20 und 40 andere Geräte im Alltag. Wir verwenden es maximal. 

Es macht etwas mit uns

Bei all dem neuen Komfort merken wir, Smartphones und Tablets verändern unseren Alltag. Seit mehreren Jahren schon. Es ist deutlich sichtbar und spürbar, und es beschäftigt mich stark. Ich mache mir Sorgen: Welche Auswirkungen hat der tägliche, unlimitierte Konsum von digitalen Medien, Social Media, Games auf uns, unsere Partnerschaften, unsere Familien, Kinder, unser Alltags- und Sozialleben? Was passiert, wenn wir unsere schlauen Geräte für immer mehr Tätigkeiten und Aktivitäten verwenden?

Die Sorgen sind real

Ich spreche mit mehreren Freund:innen, Bekannten, Kolleg:innen darüber, und die Gespräche verlaufen immer sehr ähnlich. Viele Eltern (auch Großeltern, Onkel, Tanten) machen sich Sorgen. Sie bemerken starke Veränderungen in ihrem Leben, bei sich selbst und bei ihren Kindern. Sie machen sich Gedanken darüber, welchen Platz Smartphones in unserem Leben eingenommen haben, ob man überhaupt eine Wahl hat, wie wichtig Mithalten und Lernen bei neuen technischen Errungenschaften ist und dass niemand ausgeschlossen werden soll. Aber auch, wie viel Handyzeit gut ist, wie ungeeignet das viele Inhalte im Internet für Kinder sind.

Welche Apps, Spiele und sozialen Netzwerke für wen und ab wann geeignet sind. Was in der Schule und in den Chats passiert, was die Kinder ungefragt geschickt bekommen und wer sie im Multiplayer-Online-Chat ansprechen könnte. Bei einer Befragung zu “Smartphones im Familienleben” an 35 Personen im Bekanntenkreis gaben 75% der Befragten an, Veränderungen im Verhalten ihrer Kinder zu bemerken. 

Wir haben es selbst nicht erlebt

Es gibt einen großen und entscheidenden Nachteil, der unsere Möglichkeiten beschränkt: Smartphones gibt es erst seit 2007 (2008 in Österreich) und die größten Entwicklungen haben erst in den letzten 5-10 Jahren stattgefunden. Das bedeutet: Alle Menschen, die derzeit Eltern sind oder mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, haben selbst keine Erfahrung im Umgang mit Smartphones oder Tablets aus ihrer Kindheit und Jugend. Wir kennen es nicht von klein auf. Das Wohnen mit WLAN, Highspeed Internet, Filme- und Serien-Streaming, Multiplayer-Online-Gaming und ein Leben mit dem Smartphone in der Hosentasche. Wir können auf keine eigenen Erinnerungen und auf keine guten oder schlechten Erfahrungen von früher zurückgreifen.
Und die könnten wir dringend brauchen! Als größte Herausforderung nannten meine Befragungsteilnehmer:innen: “Ein gutes Vorbild zu sein.”

Neue Hochgeschwindigkeitswelt. “Es gab auch früher schon immer wieder technische Neuheiten, die haben wir auch bewältigt.” Gut, ja. Mobilfunk. Internetzugang, vernetzte Welt und so. Stimmt schon, es gab schon sehr bedeutsame Entwicklungen. Verglichen mit der Erfindung des Smartphones und den damit verbundenen Veränderungen in unserem täglichen Privat- und Arbeitsleben, sind sie jedoch alle vor allem eines: langsam. Es dauerte mehrere Jahrzehnte, bis aus der ersten Datenübertragung der Welt (1969) Anfang der 90er die erste öffentliche Version des Internets wurde. Und dann noch ein paar Jahre, bis die Übertragungsgeschwindigkeit halbwegs erträglich war und Modems in immer mehr Haushalten angesteckt wurden und noch weitere Jahre, bis die Nutzer:innenzahlen in die Millionen gestiegen sind. 

Seit der Erfindung der Smartphones haben sich diese Zeiträume extrem beschleunigt. Die Entwicklung des TikTok-Vorgängers Douyin dauerte angeblich nur 200 Tage. Innerhalb nur eines Jahres nach der Entwicklung erreichte die Plattform bereits 1 Million Videoaufrufe pro Tag.* 

„Das sollte ein Thema in der Schule sein!“

In vielen Gesprächen, die ich geführt habe, sind sich Eltern einig: “In der Schule ist das leider gar kein Thema!” oder “In der Schule gibt es keine Handy-Regelung, nur eine Lehrerin kassiert es ein, wenn sie es während der Stunde sieht.” und “Es wäre wirklich gut, wenn es da von der Schule aus mehr Informationen und Angebote gäbe.” Spreche ich mit Pädagog:innen, wünschen sie sich das Thema außerhalb der Schule, sie sagen mir: “Das müssen die Kinder zuhause lernen.”

So. Und jetzt?

Weder zuhause noch in der Schule werden wir die Zukunft aufhalten. Smartphones sind ein fixer Bestandteil, das wird sich so schnell nicht ändern. Was wir jedoch ändern können, ist, wie wir mit den Geräten umgehen. Wann und wie lange wir Kinder und Jugendliche ins Netz lassen und wohin. Wie wir sie darauf vorbereiten und wie wir sie unterstützen. 

Wie wir unsere Freizeit, den Schultag, das Familienleben gestalten, liegt in unseren Händen. 

Ich möchte mit diesem Blog, meinen Vorträgen und Informationsangeboten Pädagog:innen und Eltern dabei unterstützen, gut vorbereitet zu sein und Kinder und Jugendliche im Umgang mit Smartphones kompetent zu unterstützen. 

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*Quelle: Influencer Marketing Hub https://influencermarketinghub.com/de/tiktok-statistiken/

Ich bin seit 25 Jahren online
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